Davon, dass „die digitale Transformation alle Bereiche der Gesellschaft betrifft und von Grund auf neu formiert“, muss man Leser:innen dieses Mediums wahrscheinlich nicht erst überzeugen. Davon, dass es darüber eine Enzyklopädie braucht, noch dazu gedruckt auf Papier, vielleicht schon eher. Dabei ist es gerade bei dem Band „Digitalität von A bis Z“ auch der Charakter des gedruckten Buches, der zum Blättern und Nachschlagen einlädt und so wunderbar zu dessen Anspruch passt: Kurze Essays, zu jedem Schlagwort gerade einmal zehn Seiten, die als „Einladung zum kritischen Mit- und Weiterdenken“ angelegt sind und einen schnell in ihren Bann ziehen.
So etwa der Beitrag von Roland Meyer, Bild- und Medienwissenschaftler, der unter dem Schlagwort Bilder über technische Verfahren und menschliche Erwartungen schreibt: Wir alle haben eine Vorstellung darüber, wie der Mond auszusehen hat, wenn wir ihn fotografieren. Und da Smartphone-Kameras bei Weltraum-Fotografie an ihre Grenzen stoßen, hilft „KI“, indem sie die unzähligen, bereits existierenden Mond-Fotografien nimmt und wenige Pixel in den uns vertrauten Erdtrabanten verwandelt. Davon ausgehend denkt Meyer über eine veränderte Funktion von Bildern insgesamt nach, auch durch unsere zusätzliche digitale Vernetzung.
Oder das Kapitel Yolo von Eva Gredel, Juniorprofessorin für Germanistische Linguistik, die den digitalen Sprachwandel anhand der Sprach- und Diskussionskultur in der Wikipedia analysiert: Das Internet-übliche Duzen, die nachrangige Bedeutung von Rechtschreibung und Grammatik sowie ein Englisch-Deutsch-Sprachmix gelten manchen als Verfall in einen reduzierten „Netzjargon“. Gredel beschreibt dies jedoch nicht als Verlustgeschichte, sondern zeigt, wie Nutzer:innen problemlos zwischen verschiedenen Stilen wechseln und digitaler Sprachwandel somit eher bereichert.
Vertrautes und Unerwartetes
So behandelt der Band digitale Phänomene wie Hacken, Maschinelles Lernen, Hypertext. Mit Information, Politik, Raum, Wissen oder Vertrauen werden aber auch noch grundlegendere Gegenstände auf ihre Veränderung durch die Digitalisierung untersucht. Und schließlich finden sich zwischendurch auch spannende Themen, die im öffentlichen Bewusstsein zu Digitalisierung kaum vorkommen: Etwa die prä-digitale Geschichte der Algorithmen von Christian Schröter, Stefan Höltgens Beitrag zum Feld der Computerarchäologie, der „Erforschung historischer Computersysteme“ oder das Affective Computing, das Eva Weber-Guskar im Beitrag Emotionen behandelt. Bei diesem werden Gefühle analysiert oder simuliert, wodurch man sich in kritischer Erweiterung des Rationalität-Begriffs auch im Forschungsfeld der künstlichen Intelligenz befindet.
Etwas an seine Grenzen stößt der Band in seinem Format als Buch dann, wenn es um Hochaktuelles geht: etwa EU-Regulierungen oder die gerade allgegenwärtige Künstliche Intelligenz. Letztere erfährt bei Sebastian Rosengrün eine kundige, kritische Betrachtung und doch wirkt der dort verhandelte Stand schon kurz nach Erscheinen im September 2024 etwas veraltet.
Dennoch bieten die insgesamt 42 Kapitel – Mitherausgeber Christian Schröter verrät auf Nachfrage des Rezensenten, dass „dem Zufall hier vielleicht etwas nachgeholfen wurde“ – einen gleichermaßen zugänglichen wie fundierten Einstieg in die Geschichte und Theorie der Digitalisierung. Neben interessierten Laien profitieren aber auch Kenner:innen von der Lektüre, der weiterführenden Literatur, den Querverweisen und den dargestellten Diskussionslinien von Fachdebatten. Abschließend sei so ergänzend zur grundsätzlichen Empfehlung der Lektüre von Digitalität von A bis Z gesagt: Lest die gedruckte Variante!
Florian Arnold / Johannes C. Bernhardt / Daniel Martin Feige / Christian Schröter (Hg.), Digitalität von A bis Z, Transcript Verlag, 448 Seiten, 29 Euro, ISBN: 978-3-8376-6765-3
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